microlearning.org im Gespräch mit dem Mediziner und Didaktiker Josef Smolle aus Anlass des Starts eines Hochschulraumstrukturmittelprojekts zu MicroLearning an der Medizinischen Universität Graz.

Herr Professor Smolle, Sie sind ein Pionier des eLearnings mit interaktiven Wissenskarten und haben schon vor etlichen Jahren so ein System konstruiert. Können Sie es kurz beschreiben?

Umfangreiche und komplexe Inhalte werden in kleinen Schritten präsentiert, die jeweils eine Reaktion der Lernenden erfordern – meist das Erkennen der richtigen Antwort auf eine Frage oder die Lösung eines Problems. Dies stellt einen interaktiven Weg zum Kenntniserwerb dar, der auf den Prinzipien des „testing effects“ und des „spacing effects“ beruht. Wichtig ist uns immer gewesen, jede Aufgabe mit einem entsprechenden Feedback zu versehen, sodass kein „Drill-and-Practice“, sondern ein kognitiver Wissensaufbau resultiert.

Welche sind die Vorteile der Multiple-Choice-Didaktik in der Medizin?

In der Medizin wird ein hohes Maß an Faktenwissen benötigt, und zugleich bestehen große Anforderungen an die praktischen und sozialen Fähigkeiten. Mit interaktiven Wissenskarten erleichtern wir das Lernen und schaffen damit für die Studierenden zeitlichen und geistigen Freiraum, sich mit den weiteren Dimensionen der medizinischen Tätigkeit auseinanderzusetzen.

Was halten Sie von der Idee, die „diagnostische Situation“ aus der Medizin auch auf andere Fächer zu übertragen – Stichwort „Flipped Content“: Zuerst die Vignette/das Phänomen, dann die Antwortoptionen, und am Schluss dann die Erklärung/Kontextualisierung des Wissens?

Angesichts der Vielfalt der Anwendungen in der Medizin – bei der es ja nicht nur um klinische Problemstellungen, sondern auch um natur- und humanwissenschaftliche Grundlagenfächer geht – bin ich optimistisch, dass digitale Lernkarten nahezu ubiquitär verwendet werden können. Unabhängig vom Fach wird man jedoch stets darauf achten müssen, dass die interaktiven digitalen Lernsysteme ein wertvoller, aber keineswegs der einzige Lernweg sein dürfen. Ideal ist die Kombination etwa mit praktischer Ausbildung oder begleitend zur beruflichen Tätigkeit.

Bitte beschreiben Sie das soeben gestartete Forschungsprojekt von MedUni Graz und der KnowledgeFox GmbH!

Im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft geförderten Hochschulraumstrukturmittelprojekts bauen wir unser eLearning-Angebot in Richtung Mobile Learning und Microlearning aus. Dazu haben wir die KnowledgeFox-Software lizenziert. Mittlerweile haben wir mehr als 7.000 Lernkarten erstellt, die ab dem Wintersemester 2017/18 unseren Studierenden zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus pflegen wir einen intensiven Ideenaustausch mit den Research Studios Austria und der KnowledgeFox GmbH hinsichtlich potentieller weiterer Entwicklungsschritte. Ein besonderes Anliegen ist uns auch die Begleitforschung, um die Lernwirksamkeit des Systems überprüfen und ggf. weiter optimieren zu können.

Welche Zukunftsoptionen sehen Sie für MicroLearning?

Die Automatisierung der Content-Generierung wird ein wesentliches Zukunftsthema sein. Automatische Manipulation von Sprache ist mittlerweile schon sehr weit entwickelt. Es geht darum, diese Methoden für die Übertragung herkömmlicher Informationsquellen in optimierte digitale Lernkarten zu nutzen.

Intelligente Assistenten für den Lernvorgang bieten sich gerade für das Microlearning an, und sind auch schon teilweise umgesetzt. Denken wir dabei an den Leitner-Algorithmus zur sinnvollen und leistungsabhängigen Wiederholung oder die Push-Funktion zur Lernerinnerung. In Zukunft wird es sinnvoll sein, abhängig von den Lernergebnissen für jeden Nutzer individuell angepasste Lernwege anzubieten, die je nach Wissensstand einen optimalen Fortschritt ermöglichen.

Was halten Sie von Leuten, die sagen: „Mit dem Smartphone kann man nicht richtig lernen, das geht eben nur mit einem Buch oder Skriptum.“

Jede Lernmethode hat ihre Berechtigung, und im Idealfall kommen zwei oder mehr Methoden zusammen, um eine optimale Vernetzung der Inhalte im semantischen und episodischen Gedächtnis zu erzielen. Das Smartphone ist für die Generation der digital natives dabei ein geradezu ideales Instrument, das von einfachen Textformaten bis zur virtuellen Realität sehr viel bieten kann.

Unsere Zeit wird immer schnelllebiger. Wie bleibt man eigentlich in der Medizin immer up-to-date? Welche Kanäle gibt es, welche Rolle spielen digitale Kanäle wie News-Feeds und soziale Medien?

Medizinische Berufe verlangen lebenslanges Lernen. Nach wie vor spielen Zeitschriften – zumeist in elektronischer Form – und Fortbildungsveranstaltungen eine wesentliche Rolle. Extrem wichtig sind natürlich Literaturdatenbanken. Hinzu treten der nationale und internationale Austausch mit Experten – informell über soziale Netzwerke oder formalisiert im Rahmen von telemedizinischen Anwendungen. Ein zentraler Bestandteil sind mittlerweile auch elektronische Lern- und Prüfungsangebote, wie sie auch das verpflichtende Diplomfortbildungsprogramm der Österreichischen Ärztekammer vorsieht.

Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle ist Professor für Neue Medien in der Medizinischen Wissensvermittlung und -verarbeitung an der Medizinischen Universität Graz. Von 2008 bis 2016 war er ebendort Rektor. 2016 fand an der MedUni Graz eine vielbeachtete Konferenz zu “MicroLearning in Medicine and Health” statt.